„Diesen Zuständen setzen wir jetzt ein Ende.“

St. Pöltens Bürgermeister Matthias Stadler (SPÖ) erhöht im Streit rund um SWAP 707843 den Einsatz. Die mit 31. März 2014 fällige Zahlung aus dem klagsanhängigen Geschäft von rund 900.000 Euro werde nicht überwiesen. Der Ball liegt nun bei der Bank. Auch auf der politischen Ebene stehen die Zeichen auf Showdown.

Gemeinsam mit Lukas Aigner (dem Rechtsanwalt, der die Stadt St. Pölten am Handelsgericht Wien im Streit mit der Raiffeisen Landesbank NÖ-Wien, RLB,  vertritt) trat Stadler am 24. März 2014 vor die Presse. Seine Ausführungen begann er mit persönlichen Worten zu den jüngsten Vorwürfen der St. Pöltner ÖVP. Diese wolle ihn „anpatzen“, Stadler sehe eine „moralische Linie jetzt überschritten“. Was war passiert?

Im Juni 2012 schloss die Stadt ein Finanzgeschäft mit der Barclays Bank. Laut Stadt wurde damit das Ziel verfolgt, Risiko aus der städtischen Veranlagungsstrategie zu nehmen. Am 26. Juni dieses Jahres trat eine Novellierung des NÖ Stadtrechtsorganisationsgesetz (STROG) in Kraft, die Landesgesetzgebung hatte die Spielregeln im Hinblick auf derartige Geschäftsabschlüsse verschärft. Im September 2013 wollte St. Pöltens ÖVP-Klubobmann Peter Krammer in einer schriftlichen Anfrage von der NÖ Gemeindeaufsicht wissen, ob das Geschäft korrekt zustandegekommen sei. Strittig war dabei vor allem der Zeitpunkt des Geschäftsschlusses.

Im Zuge der Prüfung stellte die NÖ Gemeindeaufsicht nunmehr am 17. März 2014 fest, dass das Geschäft zwar noch vor dem Inkraftreten der Novellierung zustandegekommen sei, dass aber der Grundsatzbeschluss vom 30. Jänner 2006, der den Bürgermeister ermächtigte, derartige Finanzgeschäft zu schließen, an sich nicht rechtskonform sei. Die „Vermögensverschiebung“ in Folge des Geschäftes liege über einer im Gesetz definierten Wertgrenze, demnach sei eben dafür der Gemeinderat zuständig. Vereinfacht gesagt, würde der Grundsatzbeschluss Kompetenzen des Gemeinderates auf den Bürgermeister übertragen – ein No-Go aus Sicht der Landesverfassung. Ein Grundsatzbeschluss, dem damals übrigens alle Parteien zugestimmt hatten und den auch bis dato offenbar die erfahrenen Rathausjuristen als unproblematisch angesehen hatten.

Auch wenn die Gemeindeaufsicht nur das angefragte Geschäft mit der Barclays Bank geprüft hat, so ergeben sich aus dieser Feststellung weitreichende Konsequenzen.

Zum einen will die ÖVP darin einen „Rechtsbruch“ des Bürgermeisters erkennen, dieser habe „mehr als 200 Mal rechtswidrig spekuliert, Geschäfte am Gemeinderat vorbeigeschwindelt und St. Pölten ein hohes finanzielles Risiko aufgebürdet“, wie Peter Kramme in Richtung Stadler ausholt. Eine Sachverhaltsdarstellung sei an die Staatsanwaltschaft St. Pölten übergeben worden, die ÖVP hofft auf eine rasche Klärung, ob dem Bürgermeister Amtsmissbrauch oder Untreue vorzuwerfen ist und stellt schon mögliche Regressforderungen in den Raum.

Bürgermeister Stadler kontert damit, dass er (wie sein Vorgänger) nur die Vorgaben des (einstimmigen) Beschlusses des Gemeinderates angewandt hat – was man einem Bürgermeister ja auch schwer vorwerfen könne. Er sieht sich aus den Detailerkenntnis der Gemeindeaufsicht in seinem Handeln bestätigt, auch wenn er feststellt, dass „die Richtlinie laut Gemeindeaufsicht nicht rechtskonform“ war. Diese Feststellung möchte er nun im Zivilprozess gegen die Raiffeisenbank nutzen.

Schon bei Klagseinbringung argumentierte die Stadt, dass das Geschäft nicht gültig zustandegekommen sei, da ein Geschäft dieser Art von der Gemeindeaufsicht genehmigt hätte werden müssen. Darum hätte sich damals praktischerweise auch die Bank kümmern müssen. Wahr ist, dass das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) besonders Schutzvorschriften für Gemeinden vorsieht. Dass aber die Bank überhaupt eine Parteistellung hätte um sich bei der NÖ Gemeindeaufsicht um eine „Genehmigung“ eines Geschäftes mit der Statutarstadt St. Pölten zu bemühen, das ist den Fachleuten in der Landesverwaltung neu. Auch das STROG sah damals keine explizite Prüfpflicht für derartige Geschäfte vor. Die Würdigung dieser Frage obliegt somit in erster Instanz Richter Martin Ogris am Wiener Handelsgericht, die nächste Verhandlung ist für 6. Mai 2014 geplant.

Bis dahin dürften noch einige Schriftstücke in dieser Causa bei Richter Ogris einlangen. Stadler kündigte nämlich bei dieser Pressekonferenz auch die zweite Konsequenz der Feststellung der Gemeindeaufsicht an. Er werde ab sofort die Zahlungen an die Raiffeisen Landesbank NÖ-Wien (RLB) einstellen, die nächste Rate von rund 9 Millionen Euro sei am 31. März 2014 fällig. Stattdessen werde der am selben Tag im Gemeinderat diese neue „Strategie“ beschlossen, der Finanzanschuss habe bereits grünes Licht gegeben.

Bestärkt sieht sich Stadler auch durch Gutachten, welche die Stadt eingeholt habe und welche das klagsanhängige Geschäft als „hinsichtlich des damit verbundenen Risikos aktuell nicht mehr tragbar“ bezeichnen. Zudem sei der Währungskurs des Schweizer Frankens günstiger als noch vor einiger Zeit, weshalb sich bei einer möglichen „Schließung“ des Geschäftes durch die RLB nun nur ein theoretischer Schaden von 69 Millionen Euro ergebe – der Schaden war schon mal über 100 Millionen gelegen. Zudem habe Reinhard Karl, Vorstandsdirektor der RLB, bei seiner Einvernahme im Rechtsstreit am Handelsgericht Wien ausgesagt, dass es nie ernstgemeinte Vergleichsgespräche aus Sicht der RLB gegeben habe. Stadler dazu: „Die RLB hat offenbar jahrelang nur zum Schein mit uns über eine vergleichsweise Bereinigung des Problems verhandelt. Diesen Zuständen setzen wir jetzt ein Ende.“

Auch Lukas Aigner sieht in der Feststellung der Gemeindeordnung eine Stärkung der „Rechtsposition der Stadt St. Pölten“ und betont, dass es keinen Sinn mache für ein Geschäft zu zahlen, das rechtswidrig zustandegekommen sei. Also Einstellung der Zahlung. Besser man lässt sich von der RLB klagen, als man müsse selber von der RLB Zahlungen einklagen – sofern man vor Gericht Recht bekommt. „Der Ball liegt nun bei der Bank“, meint Aigner.

Neben der politischen Diskussion rund um die STP-SWAP-Causa tritt nun wohl in den nächsten Wochen auch der zivilrechtliche Streit wieder stärker in den Fokus. Ob sich mögliche Ermittlungen der Staatsanwaltschaft St. Pölten auf den Fortschritt der Verhandlung am Handelsgericht auswirken werden ist derzeit noch unklar.

Auf der Ebene der Gemeindepolitik scheinen nun aber die Fronten verhärteter denn je, eine gemeinsame Linie der gewählten Parteien im St. Pöltner Gemeinderat scheint in weiter Ferne.


ANMERKUNG vom 26.03.2014, 15:20 Uhr: Silvia Buschenreiter, ehemalige St. Pöltner Grünen-Chefin, hat mich auf folgendes Protokoll des Gemeinderates hingewiesen:

Protokoll der Sitzung des Gemeinderats vom 30. Jänner 2006: Abstimmung Punkt 6 der Tagesordnung – Richtlinien für den Einsatz von Derivativgeschäften / Neufassung: Der Gemeinderats stimmt dem Antrag mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP, FSP, bei Gegenstimmen der Grünen, zu.

Demnach ist der Antrag nicht einstimmig beschlossen worden. Ich nehme das gerne zur Kenntnis und danke für den Hinweis!


ANMERKUNG vom 27.03.2014, 14:30 Uhr: Bürgermeister Matthias Stadler hat mir ausrichten lassen, dass meine Darstellung zur Frage der fraglichen Genehmigung des Geschäfts durch die Gemeindeaufsicht nicht ganz richtig sei. Es sei vielmehr so gewesen, dass die RLB der Stadt explizit gesagt habe, dass sie diese Art von Geschäften mit der Gemeindeaufsicht abgeklärt habe und sich die Stadt darauf verlassen habe. Ich nehme dies gerne zur Kenntnis und bedanke mich für den Hinweis!

Gültig — oder nicht?

Die NÖ Gemeindeaufsicht stellt fest, St. Pöltens Bürgermeister Matthias Stadler (SPÖ) hätte ein Derivativgeschäft gar nicht abschließen dürfen — sondern dafür einen Gemeinderatsbeschluss benötigt. Ist das nun eine Ohrfeige für den Bürgermeister — oder ein Ass im Ärmel der Stadt gegen Raiffeisen?

Am 17. März 2014 antwortete die NÖ Gemeindeaufsicht an den St. Pöltner Klubchef Peter Krammer. Die oppositionelle ÖVP im St. Pöltner Rathaus hatte dem SPÖ-Bürgermeister vorgeworfen, ein Derivativgeschäft mit der Barclays Bank ohne ausreichender Befugnis abgeschlossen zu haben.

In der Reaktion der Gemeindeaufsicht lässt die Behörde keinen Zweifel daran, dass sie die Argumentation der Stadt nicht teilt und der Ansicht ist, dass dieses Geschäft vom Gemeinderat hätte abgeschlossen werden müssen. Eine nachträgliche Beschlussfassung des Stadtparlaments sei nötig um den Vertrag zu “sanieren”.

Lässt sich diese Einzelfallprüfung auch auf alle anderen Geschäfte umlegen, die der Bürgermeister “alleine” auf Grundlage eines “Grundsatzbeschlusses” im Gemeinderat vom 30. Jänner 2006 geschlossen hat, so hat St. Pölten ein Problem.

Laut Peter Krammer wären rund 230 Derivativgeschäfte betroffen, alle müssten nachträglich vom Gemeinderat rückwirkend beschlossen werden. Eine Vorgehensweise, die Krammer zumindest für seine Partei ausschließt. Aber auch die SPÖ-Gemeinderäte sollten sich genau überlegen, ob sie ihrem Bürgermeister noch weiter in dieser Causa folgen: “Es gibt auch eine persönliche Haftung der Gemeinderäte.”

Der gesammelte Sachverhalt wird am Montag, 24. März 2014 von der ÖVP offiziell bei der St. Pöltner Staatsanwaltschaft eingebracht. Ob sich aus diesem verwaltungsrechtlichen Befund Anhaltspunkte auf strafrechtlicher Ebene ergeben wird derzeit heftig diskutiert. Im März erhob Krammer bereits im MFG-Magazin schwere Vorwürfe gegen Stadler und stellte die Frage in den Raum, ob Stadler Amtsmissbrauch und Untreue in Sachen SWAP-Causa vorzuwerfen sei.

Matthias Adl, Obmann der St. Pöltner ÖVP, kündigte unter dessen an, dass seine Partei die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss bekräftigen wird. Mit den anderen Oppositionsparteien werde man dazu Gespräche führen. Für die Einsetzung eines Ausschusses sind auch Stimmen der SPÖ nötig. Peter Krammer meinte, er sei gespannt, ob “die St. Pöltner SPÖ-Mandatare weiter die nötige Kontrolle verweigern würden”.

Am Montag, 24. März 2014 tagt um 9:00 Uhr im Rathaus der Finanzausschuss. Auch St. Pöltens Rechtsanwalt Lukas Aigner, der die Stadt im Zivilrechtsverfahren gegen die Raiffeisen Landesbank NÖ-Wien beim Streit um SWAP 707843 vertritt, wird dabei an den Ausschuss berichten. Für 11:30 Uhr ist eine Pressekonferenz mit Bürgermeister Stadler und Lukas Aigner angesetzt.

Im gerichtsanhängigen Verfahren geht es um etwa 12 Millionen Euro an Zahlungen, die St. Pölten bereits geleistet hat und einen offenen Streitwert von rund 80 Millionen Euro. Seitens des St. Pöltner Bürgermeisters bzw. des Magistrats wurde die Stellungnahme der Gemeindeaufsicht noch nicht kommentiert. Unklar ist derzeit, ob diese Stellungnahme die Rechtsposition der Stadt im Streit mit Raiffeisen stärken könnte — und der Argumentation hilft, dass das Geschäft gar nicht korrekt zustandegekommen sei. Vor diesem Hintergrund könnte sich die Rechtsmeinung der Gemeindeaufsicht auch als “Ass im Ärmel” der Stadt St. Pölten erweisen, wie auch Peter Krammer unterstreicht.

Die Diskussion um strafrechtliche Konsequenzen (Stichwort Amtsmissbrauch) sowie die politische Verantwortung der umstrittenen St. Pöltner “Schuldenbewirtschaftung” wird sich in den nächsten Wochen jedenfalls verstärken.